Türkische Avantgarde
Mit ihrer modernen Interpretation der türkischen Küche trifft Elif Oskan einen Nerv. Ihr «Gül» ist heiss begehrt. Die Leidenschaft fürs Essen hat sie von ihrer Mutter.
«Merhaba!», ruft die ganze Belegschaft lauthals, wenn jemand das Lokal betritt. «Güle güle» wenn jemand geht. In ähnlicher Lautstärke. Das «Gül Restoran» im Zürcher Kreis 4 ist an Herzlichkeit kaum zu überbieten. Elif Oskan ist Mit-Besitzerin, Gastgeberin und Köchin und trägt massgeblich zu dieser Atmosphäre bei. Mit dem «Gül» haben sie und ihre Partner Markus Stöckle und Valentin Diem einen Volltreffer gelandet. Sie beweist, dass türkische Küche mehr ist als nur Döner. Sie serviert Klassiker wie Köfte, Lahmacun oder Pidé, auf der Karte stehen auch filigran abgeschmeckte Gerichte wie Kohlrabisalat mit einem Dressing aus Sonnenblumenkernen, schwarzem Sesam, Schwarzkümmel und Isot-Chili.
Das türkische Essen wurde Elif Oskan quasi in die Wiege gelegt. «Meine Mutter ist eine wahnsinnig tolle Köchin. Und ich sage das nicht nur, weil sie meine Mutter ist. Wenn ich zurückdenke, ist es echt krass, wie viel Aufwand sie immer betrieben hat», erzählt sie. Elif Oskan ist in Zürich Wollishofen aufgewachsen, gegessen wurde stets türkisch. Erst als Teenager hatte Elif das Verlangen, auch mal in den McDonald’s zu gehen. «Ich liebte den McChicken. Und meine Mutter wusste das. Da hat sie für mich zu Hause den McChicken einfach nachgekocht. Das ist doch Liebe!»
Später will Elif selber in der Küche stehen, macht die Lehre im «Romantik Seehotel Sonne» in Küssnacht ZH. Der Teenager ist talentiert und wissbegierig. «Ich war besessen davon, etwas auf Wellington-Art (Filet im Blätterteig mit einer Pilz-Farce) zuzubereiten. Also setzte man zu meinem 18. Geburtstag eine Königstaube Wellington auf die Karte - einfach damit ich das zubereiten durfte.» Nach der Lehre wechselt Elif ins «Mesa» zu Marcus G. Lindner. «Das war streng, aber wir hatten ein lässiges Team.» Aus der Retrospektive betrachtet, waren das keine unbekannten Team-Player: Nenad Mlinarevic oder Sven Wassmer kochten zur gleichen Zeit im «Mesa».
Nach einem Abstecher in den «Rigiblick» wagt das Stadtmädchen etwas ganz anderes: Sie macht eine Saison in Zermatt, im Restaurant Heimberg (heute «1818», Anm.d.Red.). Auch wenn das Leben in den Bergen nicht zu Elifs Bestimmung wird, macht sie dort eine einschneidende Begegnung: Heston Blumenthal («The Fat Duck», 3 Sterne) ist zum Skifahren in Zermatt und kommt als Gast in den «Heimberg». «Wir waren voll die Groupies. Wir haben uns vorgestellt und er hat uns von seinem Stagiaire-Programm erzählt.» Elif bewirbt sich, wird genommen und geht nach London.
Wir waren voll die Groupies. Wir haben uns vorgestellt und er hat uns von seinem Stagiaire-Programm erzählt.
Dort lernt sie den Bayer Markus Stöckle kennen, der seit fünf Jahren in der «Fat Duck»-Brigade arbeitet. Die beiden verlieben sich, doch was Beziehungen am Arbeitsplatz betrifft, hat Heston Blumenthal klare Vorstellungen: Gibt es nicht! Elif und Markus müssen sich entscheiden, nur einer kann bleiben. Für Elif ist klar, dass das Markus ist. Sie geht zurück nach Zürich. Fortan führen die zwei ein Fernbeziehung.
Elif heuert im «Maison Manesse» an, danach macht sie sich selbständig. Als «Miss Marshall» verzückt sie ganz Zürich mit ihren Dessert-Kreationen und Stickstoff-Glace. 2016 kommt auch Stöckle nach Zürich. Zusammen machen sie erfolgreiche Pop-ups wie «Wood Food», «Wild Bar» oder das «Taco-Fenster». Dann folgen die Restaurants: Erst das «Rosi», dann das «Gül», zuletzt eröffnete das «Gül Express» an der Zollstrasse beim Hauptbahnhof.
Elif jongliert so viele heisse Teller gleichzeitig, bei jedem anderen wäre längst einer runtergefallen. Doch Elif schafft das Kunststück fast schon mit spielerischer Leichtigkeit. Sie wallt den Teig für die Vegacun - eine vegane Version der Lahmacun - aus. Bestreicht sie mit einer Paste aus Grillgemüse und schiebt sie in den Holzofen. Gleichzeitig gibt sie einem Mitarbeiter Anweisungen, wie er die perfekte Käsemasse für die Blauschimmel-Pide zubereiten soll.
Die Salçli Patates müssen auch noch angerichtet werden: Die gedämpften und gerösteten Kartoffeln liegen in einer Paste aus fermentierten Tomaten und Paprika. Dazu gibts eine Crème aus Dickrahmjoghurt und Labneh und jede Menge frische Kräuter. Auf die Frage, ob sie nie Angst hatte zu scheitern, sagt sie schlicht: «Nein. Manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen. Und ich habe ja nichts zu verlieren.» Dann beginnt der Service. Und alle stimmen wieder ein: «Merhaba!»
Text: Kathia Baltisberger, Fotos: Pascal Grob, Datum: 07.01.2022
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