Geheimzutat Adrenalin
Christian Vogel hat selten eine ruhige Minute. Wenn er nicht gerade im «Birdy’s» in Brunnen kocht, sammelt er Kräuter, fährt im Tiefschnee einen Berg hinunter oder steht an den Turntables.
Die meisten Köche schalten als erstes die Kaffeemaschine ein, wenn sie in die Küche kommen. Christian Vogel nicht. Er drückt zuerst auf den On-Schalter der Soundanlage. Dann dröhnt Deephouse aus den Boxen. «Ohne Musik geht hier nichts», sagt Christian Vogel, Küchenchef und Mitinhaber des «Birdy’s» in Brunnen SZ. Seit dem letzten Sommer ist das Lokal an der Seepromenade geöffnet und schaffte es auf Anhieb mit 14 Punkten in den GaultMillau. Die Gerichte kommen alle zum Teilen auf den Tisch und sind vegetarisch konzipiert. «Es sind eigenständige Gerichte, die ohne Fisch und Fleisch funktionieren. Den Gästen fehlt es an nichts.» Wer trotzdem nicht auf tierische Komponenten verzichten will, bestellt Fleisch oder Fisch einfach on top.
So bereitet Vogel einen halben Lattich zu. Er flambiert den Salat, gibt einen Sud aus gepickelten roten Zwiebeln dazu und drapiert etwas Ceasar-Cream daneben. Dazu bestellen könnte man etwas Hüttenspeck von der Metzgerei Heinzer in Muothatal. Der Speck ist saftig, hat eine intensive Räuchernote und harmoniert hervorragend mit dem Lattich. Bei der geräucherten Rande mit Wasabi-Nüssen und einem Apfel-Rucola-Sud könnte man Lachs aus Lostallo bestellen. Kein Muss, aber eine Empfehlung. Die Focaccia-Knödel kommen ohne Fleisch aus. Durch die Pilze und das Sauerteigbrot hat das Gericht bereits einen intensiven, fleischigen Geschmack.
Die Gerichte, das Interieur, die Philosophie – das Restaurant würde auch in eine urbane Umgebung passen. Doch der Kanton Schwyz ist Christian Vogels Heimat. Aufgewachsen ist er in Steinerberg. Sein Vater hatte eine Bergkäserei, die Mutter verkaufte den Käse und italienische Delikatessen. Zum ersten Mal alleine gekocht hat Christian mit acht Jahren: «Ich wollte gebrannte Mandeln machen wie meine Mutter. Sie war bei der Arbeit und sagte mir, ich könne alles vorbereiten, aber noch nicht anfangen! Als sie nach Hause kam, lagen die fertigen gebrannten Mandeln bereit.»
Die Anekdote verdeutlicht: Christian Vogel ist kein Angsthase. Das Adrenalin ist sein steter Begleiter. Als Teenager fährt er Ski, eine Profikarriere steht in Aussicht. Doch ein Kreuzbandriss lässt ihn alles überdenken. Statt der Sportschule Engelberg fängt er eine Kochlehre an. «Diese Entscheidung habe ich nie bereut», sagt er. Heute verbringt er seine freien Tage «nur noch» beim Freeriden. «Das ist gesünder für die Knie», sagt Vogel und lacht.
Die Lehre absolviert er auf der Rigi. Die legendäre Bergsonne-Köchin Dorly Camps wird zu Vogels erster Mentorin. Sie gibt ihm die Basics mit auf den Weg und zeigt ihm, wie man würzt. «Dorlys Küche hatte viel Power in der Aromatik. Von ihr habe ich das Abschmecken gelernt.» Aber auch menschlich passt es zwischen dem jungen Stift und der Köchin. «Das Bergsonne-Team war für mich wie eine zweite Familie.» Zwischendurch fährt der Teenager runter nach Luzern. Denn Vogel ist auch DJ. Er legt auf, schläft eine Stunde im Auto und fährt mit dem ersten Bähnli wieder auf den Berg. Auf der Rigi hat Vogel gelernt, das «Mise en Place» für seine Küche in der Natur zu suchen. Sauerklee, Vogelbeeren, wilde Erdbeeren, schwarze Nüsse oder Holunderblüten. Alles pflückt der Chef auch heute noch selber.
Die Schweiz gefiel mir sehr, also bin ich geblieben.
Nach der Lehre zieht es Vogel erst ins Engadin, dann ins Wallis. Die Berge sind immer präsent. Etwas, das auch seinem neuen Chef im «Castle» in Blitzingen, Peter Gschwendtner, wichtig ist. Der ehemalige 16-Punktechef und Bergführer hat alle 4000er in den Alpen erklommen, auch auf dem Mount Everest war er schon. Mit seinem Schützling Christian Vogel macht er einen Deal. «Ich habe ihm gesagt, ich nehme die Stelle als Souschef an. Aber nur, wenn er mich mit aufs Matterhorn nimmt», erzählt Vogel. Eines Tages ist es so weit. Nach dem Mittagsservice fahren die zwei nach Zermatt, übernachten auf der Hörnlihütte. Am nächsten Morgen geht es in dreieinhalb Stunden hoch auf den Gipfel, in vier wieder runter. Am Abend stehen beide für den Service wieder im Goms am Herd.
Auch in der Küche im «Birdy’s» schreckt Vogel vor nichts zurück. Seit diesem Jahr serviert Vogel seinen Gästen an der Bar «The Nest» ein Fine-Dining-Menü. Die Gerichte sind nicht zum Teilen gedacht, die Teller sind noch etwas raffinierter ausgearbeitet und Vogel wendet verrückte Techniken an: Er giesst ein kaltes Glas mit flüssigem und gekühltem Natriumacetat über ein Stück Lachs aus Lostallo. Beim Kontakt mit dem Fisch reagiert die Flüssigkeit und wird zu einer Art Salzkruste, die sich auf 49 Grad erwärmt. «Der Fisch gart ganz sanft darin. Es ist nicht nur Show, es verändert auch die Konsistenz des Fisches. Die Idee dazu habe ich aus dem 3-Sternelokal Aponiente in Spanien.» Die Beilagen kommen verhältnismässig simpel daher: etwas Fenchel und eine Safran-Beurre-blanc. Man muss ja nicht immer übertreiben.
Text: Kathia Baltisberger, Fotos: Olivia Pulver, Datum: 28.04.2023
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